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Kuchenbäcker-Blues
Jeder Mensch hat sein eigenes Rezept, um sich aus einem seelischen Tief
selbst
wieder heraus zu ziehen.
Der eine schwört auf Jogging, dreimal um den Block. Dem
Zweiten ist schon mit
einem Gang zum Bäcker geholfen. Der oder die Dritte pflegt
ausgedehnte Shopping-
Touren.
Wenn ich meinen Kleiderschrank öffne, fallen mir all
meine Seelenpflaster entgegen.
Ich weiß nicht, wer den Begriff "Frustrationspullover"
prägte. Ob es eine Frau war?
Ja, es ging mir ganz schön schlecht, als ich mir all die
Trostpflaster kaufte. Noch
schlechter wird mir, wenn mir bewusst wird, dass ich diese
einst so begehrten
Stücke nie getragen habe. Ich warte immer noch auf den
besonderen Anlass, um
sie der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Da lobe ich mir ein einfaches und preiswerteres Mittel gegen kleine
Depressionen,
das ich jahrelang anwandte, ohne mir dessen bewusst zu sein.
Aus alten Überlieferungen geht hervor, dass ich vor vielen
Jahren einen gewissen
Ehrgeiz besaß, als gute Hausfrau zu gelten. Man fand mich
häufig beim Kuchen
backen.
"Ist mein Schatz wieder fleißig!", strahlte mein Mann. Er
profitierte am meisten von
der Bäckerei. Wir besaßen noch unsere
Vierhundert-Liter-Gefriertruhe, Alles, was
ich an Backwaren herstellte - auf drei Ebenen, darum der
Heißluftherd - verschwand,
portionsweise abgepackt, in ihrer Tiefe.
Mein Mann schwelgte in Streußel- und Mohnkuchen, vormitttags
aus der Truhe
genommen, nachmittags gegessen.
Für meinen Sohn standen immer Marmor- oder Zitronenkuchen auf
dem Tisch.
Ich backte ja für meine Familie.
Die Zeiten ändern sich. Der Nachwuchs steht mehr auf
Herzhaftes. Für Männer ab
einem gewissen Alter ist zu viel Kuchen ungesund.
Die Riesentruhe wurde durch einen energiesparenden Gefrierschrank
ersetzt. An
Geburtstagen steht nur noch eine Torte auf dem Tisch. Wenn es mir
besonders
gut geht, kaufe ich diese beim Bäcker.
Doch dann kommt so ein Sonntag wie heute. Ich wache nur widerwillig
auf. Druck im
Magen. Leere im Kopf. Vor dem Fesnter zeigt sich der Himmel Grau in
Grau.
Als ich mich nach der flüchtigen Lektüre der
Sonntagszeitung aus dem Sessel
erhebe, dreht sich die Welt. Der Gedanke, in den Garten zu gehen, wird
verworfen.
Bei dem Regen!
Dann der rettende Einfall: Ich könnte ja mal einen Kuchen
backen!
Was hätten wir denn zur Auswahl. Donauwellen, Jamaikatorte.
Ganz recht!
Backmischungen. Während meiner Kuchenbäckerzeit ein
Ding der Unmöglichkeit.
Donauwellen? Nein, danke! Vom Wasser habe ich für heute genug.
Jamaikatorte? Das klingt nach Urlaub und Palmen.
Nun steht sie vor mir, diese Komposition aus Schokolade,
Kokosfüllung und Ananas
mit Rum. Berauschend ihr Duft. Leider noch viel zu heiß.
Bis zum Nachmittagskaffee muss ich mich also gedulden. Gespannt bin ich
nur,
ob jemand am Kaffeetisch sitzen wird, der mich mit den Worten
empfängt:
" Mein Schatz ist heute aber fleißig gewesen!"
Dem werfe ich die Torte an den Kopf - und beim nächsten Tief
erspare ich mir die
Mühe und nehme gleich ein Aspirin.
© Karin Rohner 1990/200/
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